Initiator der Waldviertler Holzwerkstatt 1981. Die WHS war das Pionierprojekt der Selbstverwaltung im Waldviertel. Es war zunächst unglaublich erfolgreich. Aus verschiedenen Gründen musste die WHS im Jahre 1987 wieder geschlossen werden.
Artikel aus: Lebenszeichen – Initiativen aus dem Waldviertel
Text Peter Sitzwohl, Fotos Dieter Kurzmann; Hsg. Waldviertler Bildungs- und Wirtschaftsinitiative BWI, 1985
Denn dann wären ja „die da oben“ irgendwann überflüssig…
WALDVIERTLER HOLZWERKSTATT
3800 Göpfritz/Wild 75, Tel. 02825/390
29 Beschäftigte, davon 12 Lehrlinge
Umsatz 1984:12 Millionen, 1985:15 Millionen
Produkt: Waldviertler Spiellandschaft, Möbel nach Maß
Förderungen: 1 Million Sonderaktion, 1 Million Darlehen vom Sozialministerium
Die Waldviertler Holzwerkstatt sieht sich in konzentrierter Form mit allen jenen Vorwürfen konfrontiert, die gegenüber selbstverwalteten Betrieben vorherrschen:
Da heißt es:“ Die scheffeln die Förderungen haufenweise.“ ‑ Die Wahrheit sieht ganz anders aus: Eigentlich wollte die Initiative die Möbelfabrik Berein in Zwettl übernehmen, die 1981 in Konkurs gegangen war. Dafür wären 5,5 Millionen Förderungsmittel notwendig gewesen. Das Land Niederösterreich bevorzugte aber eine oberösterreichische Großtischlerei, die 18,5 Millionen benötigte, Das Häuflein der acht Aufrechten, das auf Selbstverwaltung beharrte, erhielt schließlich eine Unterstützung der Arbeitsmarktverwaltung und Mitteln aus der Sonderaktion in der Höhe von jeweils einer Million. Also insgesamt zwei Millionen, und keinen Schilling mehr! Zehn Arbeitsplätze wurden damit geschaffen. Die 19, die noch dazukamen, wurden bisher mit keinem Groschen gefördert.
Das Dilemma der WHS besteht ja gerade darin, dass sie stark unterfinanziert gegründet wurde. Die Entwicklung und die Markteinführung der Waldviertler Spiellandschaft, eines Programmes, das eine echte Neuheit darstellt und inzwischen internationales Renommee genießt, war äußerst kapitalintensiv. Sonst gibt es für Innovationen sehr wohl Geld, in diesem Fall nicht.
Vorurteil Nummer zwei: „Die verwalten sich selbst, aber Risiko tragen sie keines.“ ‑ Die Wahrheit: Die Liquiditätsprobleme wurden dadurch gelöst, daß heute Arbeiter mit mehr als 100.000 (!) Schilling haften.
Vorurteil Nummer drei: „Die wirken marktverzerrend, weil ihnen ständig unter die Arme gegriffen wird.“ ‑ Die Wahrheit: Auf viel zu engem Raum muß in zwei Schichten gearbeitet werden, die Produktionsbedingungen sind katastrophal. Die Maschinenausstattung ist mangelhaft. Für eine Ausweitung wurden zwar Förderungsmittel in Aussicht gestellt‑, aber nicht gewährt.
Ein anderer Vorwurf: „Ein reiner Diskutierklub.“ ‑ Die Wahrheit‑. Diskutiert wird, das stimmt. Das sollte ja auch zwischen Menschen nicht verpönt sein. Auch am Arbeitsplatz nicht. Im übrigen wird aber in der WHS gearbeitet wie in jedem anderen Betrieb, der am freien Markt bestehen muß. Zum Beispiel vor Weihnachten beinahe rund um die Uhr.
Und noch ein Vorwurf: „Die haben ja Probleme mit dem Finanzamt“ ‑ Stimmt, aber in einem Ausmaß, wie sie viele andere Betriebe auch haben. Ausstellungsstücke wurden „schwarz“ verkauft. Dafür gibt es keine Entschuldigung, nur soll das Vergehen in der richtigen Relation gesehen werden.
Jetzt aber zur Geschichte der WHS. Als 1981 die Möbelfabrik Berein schließt, stehen mit einem Schlag 50 Leute ohne Arbeit da. Und das in Zwettl, wo die Arbeitslosigkeitsrate ohnehin schon extrem hoch ist.
Regionalbetreuer Dr. Anton Rohrmoser nimmt August 1981 mit den Arbeitslosen Kontakt auf, um das für die politische Landschaft im Waldviertel, die von konservativen Strukturen geprägt ist, doch eher sensationelle Projekt eines selbst verwalteten Betriebes als Auffanggesellschaft vorzuschlagen.
Schließlich stellte sich heraus, daß 25 von den ehemals 50 Beschäftigten sich ein solches Modell vorstellen konnten. Ich gründete mit den 25 Arbeitslosen eine Initiativgruppe und wir suchten einen Geschäftsführer, den wir mit Ing. Fritz Bergmann fanden. In regelmäßigen Zusammenkünften wurde dann ein Betriebskonzept und eine Strategie zur Durchsetzung überlegt. Weiters wurde eine Verhandlungsgruppe gebildet, aus Vertretern der Belegschaft, dem Geschäftsführer und mir als Regionalbetreuer. Unterstützt wurden wir auch von Hildegard Mauerhofer, ÖSB. (Rohrmoser)
Nach sieben Monaten zähen Ringens haben sie positive Zusagen der Arbeiterkammer, des Sozialministeriums, des Bundeskanzleramtes und sie haben auch Aussicht auf schöne Aufträge. Nur das Land Niederösterreich sagt „nein“. Also fahren am 16. Dezember 1981 25 Waldviertler Familien nach Wien ausgerüstet mit 600 unterstützende Unterschriften aus Zwettl, Flugzetteln und Transparenten. Sie demonstrieren vor dem Landhaus, ernten Sympathien bei den Passanten ‑ aber nicht beim zuständigen Landesrat.
Ein sieben Monate dauernder, zermürbender Kampf um die Weiterführung der Firma Berein in Selbstverwaltung findet damit seinen Abschluß.
Aber eine kleine Gruppe – acht Arbeiter mit Geschäftsführer Bergmann und mir als Projektbegleiter ‑ gab trotz all dieser Hindernisse nicht auf. Wir entschlossen uns, ein selbstverwaltetes Betriebsmodell in einer kleinen Variante zu versuchen. (Rohrmoser)
Ein Kurs für die Vorbereitung auf selbstverwaltete Betriebsführung wird organisiert, getragen vom Berufsförderungsinstitut. Dieser Kurs war auch wichtig, weil eine zeitliche Überbrückung notwendig geworden war: Der gesetzliche Anspruch auf Arbeitslosengeld war inzwischen abgelaufen.
Selbst die Suche nach einer Betriebsstätte wird zu einem Spießrutenlauf. Niemand will die hartnäckigen Kämpfer haben. Letzte Rettung: eine leer stehende Halle in Göpfritz/Wild, die adaptiert wird.
Am 1. Juni 1982 beginnt die Waldviertler Holzwerkstatt zu produzieren, als erster selbstverwalteter Betrieb im Waldviertel. Als Rechtsform wird ein Verein und eine GesmbH gegründet. Der Verein ist inzwischen alleiniger Gesellschafter und alle Beschäftigten sind Mitglieder im Verein.
Die Gründung der WHS verlief turbulent, aber ebenso die weitere Entwicklung. Noch im ersten Jahr wird auf 24 Beschäftigte aufgestockt. Bedingt durch die Neuentwicklung der „Waldviertler Spiellandschaft“. Ein WHS‑Hit, neben den Möbeln nach Maß. Der erste Prototyp wird entwickelt. Und damit geht’s gleich ab auf die größte Möbelmesse der Welt. Die Resonanz ist enorm. Wie die Tischler der Nachfrage nachkommen können, wissen sie noch nicht. Sie sind sich selbst immer um eine Nasenlänge voraus.
Dr. Eva‑Maria Tschaikner, Erziehungswissenschaftlerin, und Magister Gottfried Tschaikner, Designer, experimentierten auf der Uni Innsbruck mit Möbeln für einen Kindergarten. Das Ehepaar registrierte das Selbstverständlichste der Welt: daß Kinder gerne turnen, irgendwo durchkriechen, sich verstecken, herumkasperln, sich zurückziehen. Und all diesen Aktivitäten hätten doch Möbel für Kinder Rechnung zu tragen, meinen die beiden Möbelentwickler. Also nehmen sie als Ausgangspunkt die runde Säule und fügen flexible Elemente dazu, die alle verwandlungsfähig sind. Das Fenster eignet sich als Fenster, aber auch als Kasperltheater und Postamt.
Durch einen Zufall kommen die Tschaikner mit den Arbeitern der WHS zusammen und finden, das seien die idealen Partner.
In der WHS können wir mit den Leuten direkt zusammenarbeiten. Wir können sagen, was wir wollen. Aber auch wir bekommen Anregungen von den Arbeitern. Das wäre in einem anderen Betrieb nicht möglich. (Tschaikner)
Wie funktioniert Selbstverwaltung im täglichen Betrieb? „Chef gibt’s kan“, konstatiert Hermann Wistrcil, Tischler bei der WHS. „Da gibt’s keinen der anschafft. Jeder teilt sich seine Arbeit selbst ein.“ Auch wenn jede Schicht ihren Meister hat ‑, selbständiges Arbeiten, meist im Team, wird groß geschrieben. Was auch gut funktioniert, denn „wer mit 100.000 Schilling bürgt, fühlt sich auch verantwortlich“.
Alle Vierteljahre wird in einem Wochenendseminar über Zahlen debattiert. Da geht’s um den Lohn, um Umsatzziele, um Preise. Aber auch um die Beziehungen der Arbeiter zueinander. Um Spannungen und Konflikte, die auftreten. Vieles kann in solchen Gruppensitzungen ausgesprochen, aufgearbeitet werden. Geredet wird auch über Wirtschaftsdaten, die von dem betriebswirtschaftlichen Berater der WHS, Magister Reinhart Nagel (ÖSB), aufbereitet werden.
Vorstandsitzungen sind monatlich vorgesehen, finden aber kaum statt. Arbeit wird vorgeschoben.
Manchmal fliegen auch die Fetzen. Der Geschäftsführer will auf eine Fachmesse in die USA. Die Vorstandsmitglieder halten seine Anwesenheit in Göpfritz für wichtiger, außerdem finden sie, daß der „Ausflug“ zu teuer kommt. Also wird der Amerika‑Trip gestrichen. Der Geschäftsführer ist sauer, akzeptiert aber.
Ins Betriebsbild paßt auch, daß von den neun Tischlerlehrlingen gleich fünf Mädchen sind. Renate Willinger, Lehrling im zweiten Jahr: „Das Arbeitsklima ist super!“
Selbstverwaltung schaut bei uns so aus: Jeder soll an seinem Arbeitsplatz maximale Freiheit haben. Aber er muß sich auch einfügen können. Und die Grundlinien werden gemeinsam bestimmt. (Bergmann)
Die WHS‑Truppe ist inzwischen schon auch ein wenig stolz auf das besondere Betriebsmodell. Über fehlende Publicity braucht sie sich nicht beklagen. Die Holzwerkstatt steht in der Zeitung, wenn sie einen Konferenztisch für die OpecKonferenz liefert, oder einen Beichtstuhl baut. Sie kommt als Prototyp eines selbstverwalteten Betriebes ins Fernsehen. Sie startet Aktionen, die die Konkurrenz immer wieder überraschen, wie zum Beispiel ein Kundentreffen, zu dem gleich 700 WHS‑Fans ins Waldviertel gereist sind. Sollte es einmal gar zu ruhig hergehen, dann sorgt Geschäftsführer Bergmann wieder für einen kleinen Sturm, sei’s daß er einen Konkursbetrieb sanieren will, oder er plant eine neue Vertriebsfirma.
Ich wünsch mir die Konsolidierung. Die ist aber schwierig mit mir, weil ich immer weiterstreb‘ . Am wichtigsten wär‘ die Expansion, damit wir so auftreten können, wie’s der Markt verträgt. Außerdem ist hier eine positive Bilanz unmöglich: wie können 29 Leute auf 360 Quadratmeter produktiv arbeiten?! (Bergmann)
Im Frühjahr 1983 wurde bereits eine Ausweitungsvariante ausgearbeitet, die den Ankauf einer größeren Betriebshalle und zusätzliche Maschinen vorsah. Es begann ein Kanossagang von Vorgesprächen und Verhandlungen mit Förderungsstellen mit teilweise begründeter Aussicht auf Zusagen ‑aber letztlich kam das alles bis heute nicht zustande. Dazu kam noch die Belastung, als das Modellprojekt für Selbstverwaltung zu gelten, sodaß es auch zu schweren Konflikten zwischen den Beschäftigten kam, wodurch dann einige Mitarbeiter aus der WHS ausschieden. Heute gibt es wieder ein sehr gutes Betriebsklima, aber nach wie vor eine angespannte Situation wegen der schlechten Produktionsbedingungen und der fehlenden Betriebsmittel. (Rohrmoser)
Beamte erklären die WHS Ende 1984 gar für konkursreif. Und die Arbeiter? Sie sind zuversichtlich. „Wahrscheinlich wird uns nichts anderes übrig bleiben als mit Eigenmitteln zu vergrößern“ ‑ die Meinung Sommer 1985.
Es handelt sich um keinen parteipolitischen Streit, sondern um einen gesellschaftlichen: Es darf nicht sein, daß sich kleine Leute zusammenschließen und anfangen zu denken. Denn dann wären ja“ die da oben “ (sprich: die Politiker) irgendwann überflüssig. (Bergmann)
29 Selbstverwalter produzieren unentwegt weiter. Sie sind überzeugt, daß sie es schaffen. Auch wenn es eine Gratwanderung ist. Sie produzieren ihre Möbel nach Maß. Sie achten auf Qualität und verlangen einen ordentlichen Preis.
Sie bringen die Waldviertler Spiellandschaft auf den Markt. Sie entwickeln dieses Modell, das voll eingeschlagen hat, weiter: für Kindergärten, Hotels, Heilstätten. Sie stecken voller Ideen und glauben an die Zukunft ihrer eigenen Firma.
PS: Während das Buch in Druck geht, laufen gerade wieder Verhandlungen wegen einer Betriebsstätte in Allentsteig, die für die WHS ideal wäre ‑, und auch wegen der Fördergelder.
Zu meinem Artikel: Entstehungsgeschichte der Selbstverwaltung im Waldviertel